Indien 12/2018 (02)

Bandhavgarh Nationalpark

Endlich ging es los. Wir flogen von Delhi nach Jalapur, mitten in die Wildnis. Es gibt nur einen kleinen Militärflughafen mit einem Mini-Kontrollturm. Ein Traktor mit Anhänger für‘s Gepäck und ein Bus für uns Passagiere wartete bereits. In einem kleinen Gebäude mit einem Gepäckband konnten wir dann auf unser Gepäck warten. Alles klein und überschaubar. Umso mehr wurde ich überrascht, dass Jalapur mit 1,2 Millionen Einwohnern die drittgrösste Stadt in Madhya Pradesh, einem Bundesstaat in Indien, ist. Hier wurden wir von 3 Autos abgeholt, die uns dann zu unserer Lodge in die Bufferzone des Bandhavgarh Nationalparks brachten. Die Fahrt war recht abenteuerlich. Bereits nach den ersten Kilometern hatten wir die Bodenbleche mit unseren Bremsreflexen gefühlt durchgetreten. Es war für uns Europäer absolut unverständlich, dass es nicht andauernd krachte. Nie im Leben würde ich mich in diesen extremen Fahrzeugverkehr wagen. In Indien herrscht Linksverkehr, aber irgendwie fahren alle grad wie es ihnen passt, hupen um die Wette, kurven um einander rum und bremsen oft im letzten Moment. Wir hielten immer mal wieder die Luft an bis wir fast erstickten oder hatten kurze Herzstillstände zu überwinden, bis sich das Chaos auf wundersame Weise wieder auflöste. Im nächsten Moment standen einige (heilige) Kühe mitten auf der Strasse, die kunstvollst durch- bzw. umfahren wurden.

Besonders beeindruckend, aber auch erschreckend war das Dorfleben links und rechts der Strasse.

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Nach 3 Stunden kamen wir wohlbehalten aber seltsam angespannt in unserer Kings Lodge an. Um uns auf den Park einzustimmen fuhren wir danach gleich für einen Kurzbesuch in den Nationalpark.

Der Bandhavgarh Nationalpark ist ein Nationalpark in Madhya Pradesh in Indien. Er umfasst eine Fläche von etwa 480 Quadratkilometern und liegt etwa 300 km südlich von Khajuraho in den Vindhya-Bergen. Der Park gilt als einer der verlässlichsten Orte, um wildlebende Tiger zu beobachten.

Die bekannteste Tierart des Parks ist der Bengalische Tiger, von dem ca. 80 Tiere im Park leben. Diese Tiger waren wenig scheu und wir konnten gleich in den ersten beiden Tagen vier mal Tiger beobachten.

Wie gesagt beobachten, was nicht gleichzusetzen ist mit fotografieren. Ein Tiger hatte ein Einsehen mit mir. Er wartete auf der Strasse liegend offenbar auf mich, denn kein Auto war sonst anwesend. Da konnte ich ja fast nichts anderes machen, als ihn zu fotografieren.

Diesem Tiger sei dank, habe ich dann die nächsten 6 Tage mit je 2 Pirschfahrten ohne Tigersichtung überlebt. Es leben natürlich auch andere Tiere und Vögel im Bandhavgarh Nationalpark und einen kleinen Teil durften wir dort auch beobachten. Besonders gut kann man die Spotted Deers und die indischen Languren, eine Art Meerkatzen, beobachten.

Jeder Nationalpark wird in zwei Zonen eingeteilt. Die Corezone und die Bufferzone. Die Corezone ist den Tieren vorbehalten, in der Bufferzone leben und arbeiten Menschen in ihren Dörfern und wir Touristen wohnen hier um dem Park möglichst Nahe zu sein. Die Zonen sind mit einem Zaun von ca. 3 Metern Höhe getrennt. Allerdings dürfen die Tiere auch in die Bufferzone. Wir durften erleben, wie locker ein Tiger diesen Zaun überwindet. Unsere Guides haben uns aber versichert, dass nur selten was passiert. Und wenn ein Mensch oder ein Nutztier getötet wird, dann bekommen die Angehörigen bzw. die Besitzer eine Kompensation durch die Nationalparkverwaltung. Das war beim nächtlichen Gang zu unseren Unterkünften sehr beruhigend. 😉

Beeindruckend und nachdenklich machend war auch der Besuch in einem kleinen Dorf in der Nähe unserer Unterkunft in der Bufferzone. Ein Lodge Angestellter aus diesem Dorf zeigte uns sein Dorf. Gleich zu Beginn fuhren wir zur Schule, wo die Lehrer mit den Kindern auf uns warteten. Die Kinder waren sehr nett und wollten immer mal wieder von uns fotografiert werden. Sie hatten die grösste Freude daran, anschliessend sich selbst auf den Displays der Kameras zu sehen. Wir hatten Kugelschreiber und Süssigkeiten dabei, was sehr ankam.

Erst vor 15 – 20 Jahren wurde die Schulpflicht für Mädchen eingeführt. Die Lehrer erzählten, dass sie heute noch, wenn ein Mädchen fehlt, zu ihm nach Hause fahren um es zu holen. Die Mädchen sind dann meist am Arbeiten. Es ist immer noch ein ständiger Kampf. Alle Kinder tragen eine Schuluniform, je nach Landkreis und Schule eine andere. Sie waren sehr freundlich, aber auch froh als wir gingen, denn dann durften sie auch nach Hause.

Im Dorf angekommen, wurden wir sehr freundlich empfangen und eingeladen, das Haus dieser Frau zu besichtigen.

In diesem Haus wohnen fünf Brüder mit ihren Frauen und gesamt zwölf Kindern. Gleich neben dem Eingang gibt es einen kleinen Tempel und danach die offene Küche. Gegessen wird in einem Innenhof und die Schlafräume sind im hinteren Teil. Die Familien haben einen eigenen Trinkwasserbrunnen und hinter dem Haus einen Acker und Obstbäume. Sie sind grossteils Selbstversorger.

Das Dorf wurde für unseren Besuch rausgeputzt und die Leute waren sehr, sehr freundlich.

Jugendliche spielten vor dem Dorf Cricket. Wir wurden eingeladen mitzuspielen. Die zuschauenden Kinder lachten herzlich, als Teilnehmer unserer Gruppe sich daran versuchten und kläglich scheiterten.

Pünktlich um 6.30 Uhr jeden Morgen wurde der Park geöffnet. Je früher man in der Autoschlange vor dem Gate stand umso besser. Die Pisten sind extrem staubig und Thomas von Amazing Views hatte eine super Idee. Er beschaffte für alle Schlauchschals (Buffs), um unser Gesicht zu schützen. Damit konnte das Sand- Geknirsche zwischen den Zähnen stark vermindert werden. Jedes Fahrzeug musste durch einen lizenzierten Fahrer angemeldet werden und jeder Passagier musste seinen Pass vorweisen. Danach wurde ein Naturguide zugeteilt. Die Guides mussten alle um 6.00 Uhr da sein und je nach Anzahl der Fahrzeuge und dem Losglück bekamen sie einen Job, am Vormittag für 4 Stunden, am Nachmittag für 3 Stunden. Das Losglück galt natürlich auch für die Touristen. Die einen Guides konnten sich verständlich machen und wussten über die Tier- und Vogelwelt Bescheid, andere konnten und wussten nichts.

Auf staubigsten Pisten ging es dann ins Innere des Parks, in die Corezone.

Neben den diversen Pirschfahrten auf der Suche nach Tigern, fuhren wir in Richtung des alten Forts auf dem Bandhavgarh Hill. Auf der Hälfte der Strecke geht eine Abzweigung zu einer 2000 Jahre alten Statue von Vishnu, einer der drei Gottheiten des Hinduismus.

Vishnu, der Bewahrer Vishnu ist das zweite Mitglied der Hindu-Dreifaltigkeit. Er bewahrt Ordnung und Harmonie im Universum, das in periodischen Abständen von Brahma erschaffen und von Shiva (für eine neue Schöpfung) zerstört wird. Vishnu wird auf verschiedene Arten verehrt und hat mehrere Avatara (Erscheinungsformen). Vishnu ist ein wichtiger und irgendwie auch sehr mysteriöser Gott. Er ist weniger sichtbar als die Naturgötter, die über die Elemente wachen (wie Feuer und Regen). Er ist der Durchdringer, die göttliche Essenz, die das Universium durchdringt.

Shesh Shaiyya, die Statue ist aus einem Sandsteinblock erstellt worden und hat eine Länge von 65 Fuss. Ganz in der Nähe wurden Pferdeställe in den Fels gehauen. Es war eine gewaltige Leistung. Selbst heute ist die Strasse schmal, steil und der Ort sehr abgeschieden.

Das war dann der Abschluss in diesem Park, in dem wir von den Tigern zu Beginn verwöhnt wurden und in dem wir zum Ende unseres Aufenthaltes auf eine längere Zeit ohne Tigersichtungen vorbereitet wurden.

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Kanha Nationalpark, Indien, 11.12.2018